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VDI 2770

Definition und Entstehung

Die Richtlinie VDI 2770 regelt die Klassifikation, die Identifikation, das Format und die Struktur von digitalen Herstellerinformationen für die Prozessindustrie. Damit definiert sie Mindestanforderungen an Herstellerinformationen, die für Anlagenbetreiber relevant sind. Das Ziel besteht darin, die Verfügbarkeit der Informationen zu verbessern und damit den Betrieb verfahrenstechnischer Anlagen zu optimieren.

Die Richtlinie wurde vom VDI-Fachbereich Betrieb verfahrenstechnischer Anlagen erarbeitet. Sie erschien im April 2020 und wird von der VDI-Gesellschaft Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen herausgegeben. Obwohl die Richtlinie speziell für die Prozessindustrie und den Betrieb verfahrenstechnischer Anlagen entwickelt wurde, deckt sie auch den Bedarf von Anlagebetreibern aus anderen Branchen ab.

Ziele der Richtlinie VDI 2770

Herstellerinformationen für Anlagenbetreibern dienen der richtigen Handhabung der Maschinen und Anlagen in jeder Lebenszyklusphase, z. B. Aufstellung, Inbetriebnahme, Ersatzteilbevorratung, Bedienung, Reinigung und Wartung. Daher ist es für Anlagebetreiber von entscheidender Bedeutung, dass sie die Herstellerinformationen, die sie gerade suchen, im gesamten Lebenszyklus der Maschinen und Anlagen schnell und einfach finden können. Dabei gilt: Je größer die Anlage, desto mehr verschiedene Hersteller sind involviert und desto mehr heterogene Dokumente sind zu verwalten. Der Anlagenbetreiber legt diese zwar in IT-Systemen ab, eine solche Ablage wurde wegen der großen Heterogenität jedoch schnell unübersichtlich und ineffizient. Daher war eine einheitliche Vorgehensweise erforderlich.

Die Richtlinie VDI 2770 wurde als Lösung für diese Problematik entwickelt. Sie hat das Ziel, die Auffindbarkeit von Herstellerinformationen unterschiedlicher Herkunft in den IT-Systemen der Anlagenbetreiber zu optimieren, auch wenn der dokumentbasierte Ansatz nach heutigen Maßstäben eigentlich nicht mehr zeitgemäß ist. Dennoch erhalten Anlagenbetreiber die Herstellerinformationen heute noch vorwiegend als umfangeiche digitale Dokumente. In diesem Punkt orientiert sich die Richtlinie also an den praktischen Gegebenheiten in der Branche.

Zu diesem Zweck definiert die Richtlinie einheitliche Regeln und Formate, unter anderem in den folgenden Bereichen:

  1. Klassifikation: Die Richtlinie gibt feste Metadaten vor, mit denen die verschiedenen Dokumente in übersichtliche Kategorien eingeordnet werden. Diese standardisierte Beschreibung der Herstellerinformationen minimiert den Aufwand beim Klassifizieren und Ordnen der Inhalte.
  2. Austauschformat: Die Richtlinie definiert ein vereinheitlichtes Format zur Informationsübertragung zwischen den IT-Systemen von Herstellern und Betreibern. PDF-Dokumente müssen dabei im PDF/A-Format und die dazugehörigen Metadatensätze im XML-Format übermittelt werden.
  3. Identifikation: Die Richtlinie gibt ein einheitliches Schema zur Bildung der Dokumentenidentifikation vor, die eine Unternehmenskennung enthält und somit weltweit eindeutig ist. Hierdurch ist eine international eindeutige Zuordnung zum physischen Objekt (ob Gebäude, Maschine, Gegenstand) gewährleistet, zu dem das Dokument gehört.

Standardisierte Klassifikation von Herstellerinformationen

Die Metadaten aus der Richtlinie VDI 2770 sind zwölf festgelegte und nicht erweiterbare Kategorien. Mit ihnen lassen sich Herstellerinformationen auf Dokumentenebene in ihrer Beschaffenheit standardisiert beschreiben, klassifizieren und ordnen. Die Kategorien richten sich nach dem Dokumenttyp (z. B. technische Spezifikationen, Zeichnungen/Pläne, Vertragsunterlagen) oder nach dem Produktlebenszyklus, für den das Dokument relevant ist (z. B. Montage/Demontage, Bedienung, Inspektion/Wartung). Dabei empfiehlt die Richtlinie, Dokumente über die Verschlagwortung nur einer einzigen Kategorie zuzuordnen.

Die Metadaten in der Richtlinie VDI 2770 basieren auf den folgenden Normen:

  • DIN EN 82045-2:2005-11 „Dokumentenmanagement – Teil 2: Metadaten und Informationsreferenzmodelle“
  • DIN EN 61355-1:2009-03 „Klassifikation und Kennzeichnung von Dokumenten für Anlagen, Systeme und Ausrüstungen – Teil 1: Regeln und Tabellen zur Klassifikation“

Diese Anlehnung an existierende internationale Normen soll eine höhere Akzeptanz gewährleisten, sowohl bei den Erstellern als auch bei den Anlagenbetreibern, bei denen die Dokumente im Einsatz sind.

Relevanz der VDI 2770 für die Technische Dokumentation

Da die Richtlinie VDI 2770 branchenübergreifend nutzbar ist, können Anlagebetreiber generell von ihren Lieferanten fordern, die Technische Dokumentation gemäß VDI 2770 zu erstellen und zu liefern. Entsprechend ist sie bereits bei der Erstellung Technischer Dokumentation von Bedeutung.

Entscheidend ist hier insbesondere, dass jedes Dokument nur einer Kategorie zugeordnet werden soll. Dies erlaubt keine kombinierten Dokumente, die z. B. eine Betriebs- und Wartungsanleitung enthalten. Daher muss sich die Konzeption und Entwicklung von Technischer Dokumentation von Herstellerinformationen nach VDI 2770 von vornherein an den zwölf Kategorien orientieren. Anschließend kann jedes Dokument entsprechend verschlagwortet werden und erhält die richtlinienkonforme, international gültige Identifikationskennung.

Digitale Transformation Technischer Dokumentation mit VDI 2770

Die VDI 2770-Richtlinie ist sowohl für Ersteller als auch für Nutzer von Herstellerinformationen ein wichtiger Schritt in der digitalen Transformation:

  • Standardisiertes Format für den digitalen Austausch aller Herstellerinformationen und deren Metadatensatz auf Dokumentenebene
  • Einheitliche Verschlagwortung, die einen optimierten Zugriff auf die Informationen über digitale Informationssysteme ermöglicht
  • Automatischer Informationszugriff direkt am physischen Objekt anhand der international eindeutigen Dokumentenkennung, die am elektronischen Typenschild ablesbar ist

Auf diese Weise soll jeder Mitarbeiter an der Anlage zum richtigen Zeitpunkt, vor Ort und auf jedem beliebigen Gerät die gesuchten Informationen im passenden Format einfach abrufen können. Es entstehen „Smart Documents“, die eine Vorstufe von Smart Information sind.

Da die Herstellerdokumentation ein integraler Bestandteil des physischen Produkts ist, bedeutet eine optimierte digitale Bereitstellung von Technischer Dokumentation gleichzeitig auch eine Aufwertung des Produkts. Da die Produkte selbst stark ausgereift sind, konzentrieren sich Optimierungsbestrebungen zunehmend auf die Entwicklung innovativer Informationsprodukte zum Produkt und weniger auf die technologische Weiterentwicklung des eigentlichen Produkts.

Die Richtlinie VDI 2770 hat somit das Potenzial, aus den Produktinformationen einen zusätzlichen Mehrwert zu schaffen – sowohl für den Hersteller als auch für den Anlagenbetreiber.